On Tour

Traumformat #5 – Mourning Time (2021)

6. & 7. Februar 2021 über Mozilla Hubs

Konzipiert von Luise Flügge, Studentin an der KHM, und Lisa Tschorn, Studentin an der Kunstakademie Münster

Angesichts von weltweit und in Deutschland stetig gestiegenden Todeszahlen verursacht durch die Corona-Pandemie, erschien die eigene Frustration, Wut, Trauer – all diese Gefühle, die auftauchten, wenn man wieder eine Ausstellung absagte oder auch das Examen nur als Schatten der eigentlichen Vorstellung realisiert werden konnte – vermessen, dennoch waren diese Gefühle da und brauchten ihren Raum.

Mit dem Workshop Mourning Time boten wir Studierenden und Alumni, die pandemiebedingt ein stilles Examen machen mussten oder eine wichtige Ausstellung nicht in geplanter Form realisieren konnten, hochschulübergreifend einen virtuellen Raum für gemeinsame Trauer, Austausch und Trost. Dabei ging es insbesondere um Vernetzungsmomente, die bedingt durch physische Distanz fehlten. Dr. Brigitte Kölle, Leiterin der Sammlung für Kunst der Gegenwart in der Kunsthalle Hamburg, sprach zum Thema Trauer aus Kurator*innen-Perspektive und dazu, wie sie ihr im künstlerischen Kontext begegnet. Zudem gab uns die Künstlerin Annegret Schrader einen Einblick in ihre Arbeit als Trauerbegleiterin und die Dimensionen und Tragweite, die Trauer in unserem Leben einnimmt.

Luise Flügge hat im Gespräch mit Lisa Tschorn den Workshop reflektiert:

Kunst und Traurigkeit im virtuellen Raum – Ein Gespräch mit Lisa Tschorn

Virtuelle Begegnungen, geht sowas überhaupt? So wie viele Menschen, waren auch ich und meine Freundin und Kollegin Lisa Tschorn in Zeiten von Social Distancing und Lockdowns mit derartigen Fragestellungen konfrontiert. Nachdem nun die einschränkenden Maßnahmen seit einigen Monaten hinter uns liegen, haben wir uns die Zeit genommen, gemeinsam über unseren vergangenen Workshop zu reflektieren.

Mourning Time – der Versuch einer Begegnung im virtuellen Raum

Im Februar 2021 nahmen Ich und Lisa Tschorn uns der Herausforderung unseren immersiven Online Workshop namens Mourning Time zu realisieren. Mit Hilfe der Förderung durch das Netzwerk Cheers for Fears im Rahmen der Ausschreibung Traumformate, konnten wir das Konzept in die Tat umsetzen. Der Titel Mourning Time entsprang aus der eigentümlichen Zeit der Pandemie, in der wir uns damals befanden. Wir waren plötzlich mit der Trauer um persönliche Verluste konfrontiert,  aber auch der Ausnahmesituation als Künstler:innen unserer gewohnten Tätigkeit im Ausstellungsbetrieb nicht mehr nachgehen zu können. Zumindest nicht in der gewohnten Form. Ausstellungshäuser waren geschlossen, Performances und Vorstellungen wurden abgesagt.

Wie sollten wir mit diesem Stillstand umgehen? Wie geht man mit Verlust überhaupt um? Mit diesen Fragen setzten wir uns an das Konzept des Workshops als Plattform für Kommiliton:innen und Kolleg:innen, um verhinderte Projekte virtuell zu betrauern. Im Rahmen eines Online-Kolloquiums kamen wir zusammen, um unsere Gefühle mit anderen zu teilen. Der Workshop fand in hubs.mozilla statt, was uns vor Herausforderungen stellte, aber auch Chancen für außergewöhnliche Präsentationsformen eröffnete. Wir wählten die Plattform als Veranstaltungsort, da wir einen experimentellen Raum außerhalb von Zoom und Teams-Meetings schaffen wollten. Die Umsetzung des virtuellen Raums erfolgte durch Veronika Simmering, die uns als erfahrene 3D-Künstlerin unterstützte.

Ein virtueller Raum von Mozilla.Hub, in dem verschiedene Figuren gemeinsam einen Bildschirm betrachten.

Teilnehmer:innen und Präsentationen im virtuellen Raum

An zwei Tagen hörten wir Vorträge von der Trauerbegleiterin Annegret Schrader und der Kuratorin Brigitte Kölle, lernten außergewöhnliche Studierende aus ganz NRW kennen und waren berührt von den Arbeiten und Erzählungen, die uns diese Menschen im virtuellen Raum näher brachten.

Luise Flügge: Liebe Lisa, du hast den Workshop mit mir realisiert. Magst du dich in drei Sätzen vorstellen? Geht das bei einem vielseitigen Menschen wie dir überhaupt?

Lisa Tschorn: Ich glaube an die Wirksamkeit radikaler Imagination, um Gemeinschaften zu bilden und zu entwickeln. Ich versuche immer noch herauszufinden, was das bedeuten könnte: Meine künstlerische Praxis umfasst Installationen, Textarbeiten, Präsenz- und Online-Performances. Es geht mir darum, Räume für Begegnungen zu schaffen. Inhaltlich beschäftige ich mich mit Arbeitswelten¸ Feminismus, Politik, Gesellschaft. Meine Praxis ist keine solistische Praxis, der Kern liegt in der Vernetzung und darin, Arbeiten kooperativ entstehen zu lassen.

LF: Der Workshop hat uns beide sehr herausgefordert, was hast du als größte Herausforderung empfunden? Bei mir war es definitiv die Unvorhersehbarkeit der Internetverbindung unserer Teilnehmer:innen.

LT: Um ein Gefühl der Verbundenheit zu schaffen, das über das Digitale hinausgeht, hatten wir für unsere Teilnehmer:innen Care-Pakete mit Snacks und Getränken vorbereitet. Nachdem das Packen viel Zeit in Anspruch genommen hatte, bestand meine größte Herausforderung darin, Pakete mit einem geborgten Einkaufswagen durch einen heftigen Regenschauer zu fahren und noch rechtzeitig auf die Post zu bringen. 

LF: Oh nein, dieses logistische Ungetüm, das wir uns als Teil des Workshops überlegt hatten, hatte ich irgendwie vergessen. Das liegt wohl daran, dass du dich hauptsächlich mit den Care-Paketen befasst hast. Ich denke, dass dies ein Teil von Mourning Time ist, den wir in jedem Fall bei einer ähnlichen Workshop-Konstellation anders angehen werden.

Auch an meinen Erinnerungslücken merkt man, dass der Workshop schon einige Zeit zurückliegt. Wie betrachtest du virtuelle Räume derzeit? Denkst du, dass die Arbeitsweise, so wie wir sie erprobt haben, auch außerhalb der Pandemie eine Zukunft hat?

LT: Während ich über diese Frage nachdenke, sitze ich in Manhattan in einem Café direkt am Broadway. Als Geografin fasziniert mich an virtuellen Räumen, dass sie ein Höchstmaß an Ortsunabhängigkeit und damit den Abbau von Zugangsbarrieren unterschiedlicher Art ermöglichen. Gleichzeitig gibt es für mich definitiv etwas, das ich unscharf als Magie der Orte beschreibe und das sich durch die bisher bekannten Formen der Videotelefonie nur bedingt herstellen lässt.

LF: Erinnerst du dich noch an Online-Formate aus der Pandemie, die du als sehr gelungen empfindest?

LT: Obwohl ich mit unseren Erfahrungen mit Mourning Time zufrieden bin, denke ich, dass es noch Raum für Verbesserungen gibt: Für mich ist die Erinnerbarkeit ein zentraler Punkt, viele Online-Veranstaltungen, an denen ich teilgenommen habe, verschwimmen in meiner Erinnerung. Aber das ist nicht viel anders als bei Präsenztreffen im Arbeitsalltag. Einige Online-Momente sind dennoch präsent. Für mich fiel die Zeit der Pandemie mit der schweren Krebserkrankung meines Vaters zusammen. Unsere Treffen  fanden hauptsächlich online statt. Eine besondere Erinnerung ist für mich, dass wir gemeinsam über Zoom virtuelle Ausstellungen auf der ganzen Welt besucht haben, als für ihn schon die Fahrt zum nahegelegenen Stadtzentrum eine große Herausforderung darstellte.

LF: Welches Learning begleitet dich bis heute aus dem Workshop?

LT: Die Frage, was es braucht, um eine Begegnung zu schaffen, die mich so berührt, dass sie mir nachhaltig in Erinnerung bleibt, ist für mich die wichtigste Lernerfahrung, die ich gemacht habe.

LF: Danke, dass du mich während der Pandemie begleitet hast. Als Kollegin und Kollaborationspartnerin bist du eine große Stütze für mich. Welche Projekte planst du aktuell und von wo werde ich dich demnächst  wieder am Telefon erreichen?

LT: Morgen fahre ich zurück nach Berlin, entweder du erreichst mich dort, oder in Münster, wo ich einen Workshop zum Thema Set-Design besuche, weil in Zukunft mehrere Filmprojekte anstehen.

Danke für deine Antworten, liebe Lisa! Mir ist außerdem zu Ohren gekommen, dass ich dir zu deinem Debüt als Wrestlerin im Rahmen des 48 Stunden Neukölln Festivals gratulieren darf! Ich freue mich auf die Projekte, die du in Zukunft umsetzen wirst und hoffentlich auch die, die wir vielleicht auch gemeinsam realisieren. Auf www.lisatschorn.eu kann man sich außerdem auch immer über deine aktuellen Projekte informieren.

Im Rahmen von Mourning Time haben wir ebenfalls die Publikation „Mourning Time – Trauer und Traurigkeit im virtuellen Raum“ erstellt, in der ihr unsere Teilnehmer:innen mit ihren Projekten kennenlernen dürft: