Akademie im Rahmen des Impulse Theater Festivals 2023
15.-18. Juni 2023, Ringlokschuppen Ruhr
Unendliches Wachstum ist auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen nicht möglich. Der Wandel zu einer Postwachstums-gesellschaft ist unausweichlich. Und doch sind auch die Freien darstellenden Künste vom Dogma des Wachstums bestimmt: Gerade in den Jahren der Covid-Pandemie wurde so viel recherchiert, konferiert und produziert wie nie zuvor. An den Arbeitsbedingungen und der sozialen Absicherung hat sich für die allermeisten Künstler*innen allerdings nichts geändert, sie bleiben prekär. Wie kommen wir raus aus diesem Hamsterrad? Die Akademie bearbeitete diese Frage in mehreren Vorträgen und drei mehrtägigen Workshops.
Studierende sowie Akteur*innen aus künstlerischer Praxis, Produktion, Dramaturgie, Verwaltung, Gewerkschaften und Förderwesen begaben sich gemeinsam auf die Suche nach neuen Arbeits- und Produktionsbedingungen: Wie sieht eine andere Theaterarbeit aus, wenn weniger, aber dafür nachhaltiger produziert wird? Wenn Arbeitskraft, Ideen und Material nicht schnell verheizt, sondern langfristig genutzt werden? Wenn die Sorge umeinander sowie die Schaffung gemeinsamer Güter und Praktiken in den Mittelpunkt rücken?
Programm
Die Akademie begann mit Berichten aus dem Forschungsprojekt „Systemcheck“, das die Arbeitsbedingungen und die soziale Absicherung in den Freien Darstellenden Künsten untersucht. In drei mehrtägigen Workshops ging es anschließend darum, wie andere Theaterarbeit in Zukunft konkret aussehen kann. Abschließend luden Vertreter*innen von Verbänden, Gewerkschaften und Arbeitsgruppen zu Tischgesprächen über die Frage, wie die Zukunftsentwürfe aus den Workshops konkret in die politische Arbeit eingebracht werden können.
Auch die Akademie selbst wollte der Hyperproduktivität Einhalt gebieten. Daher gab es Raum zum kollektiven Kochen in der Tiger Kitchen mit Nadja Duesterberg und Svea Kirschmeier, zum Schmökern in der Akademie-Bibliothek oder zum Entspannen im Park. Die Akademie-Teilnehmer*innen besuchten außerdem an den Abenden den Showcase des Impulse Festivals in Düsseldorf.
Systemcheck: Zum Zustand der Arbeit in den Freien Darstellenden Künsten (Donnerstag, 15.06., 11:00-13:00)
Vorträge und Diskussion mit den Beteiligten des Forschungsprojekts „Systemcheck“ Sören Fenner (ensemble-netzwerk e.V.), Janet Merkel (Institute for Cultural Governance), Elisabeth Roos (Bundesverband Freie Darstellende Künste), Hannah Speicher (Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover).
Das Forschungsprojekt „Systemcheck“ des Bundesverbands Freie Darstellende Künste erforscht von 2021 bis 2023 die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen und Hybrid-Beschäftigten in den Darstellenden Künsten. Im Rahmen der Akademie werden die wichtigsten Themen und Forschungsergebnisse des Projektes von Elisabeth Roos vorgestellt. Dr. Hannah Speicher berichtet von den Erkenntnissen der Interviewstudie „Im freien Fall. Beschäftigungsformen, soziale Sicherungen, Selbstverständnisse und Bewältigungsstrategien in den freien darstellenden Künsten“. Janet Merkel gibt Einblicke in die Entwicklung des Arbeitsbegriffs in der Kunst- und Kreativbranche. Dabei macht sie deutlich, wie Leidenschaft für einen Beruf und Arbeitsbedingungen zusammenhängen, und wirft Fragen zur Cultural Governance auf. Sören Fenner spricht über die Erfahrungen mit Solo-Selbstständigkeit und Hybrid-Beschäftigung aus Sicht der Künstler*innen. Nach einem Ausblick auf die weiteren Schritte von „Systemcheck“ bleibt Zeit für Austausch zum Gehörten.
Workshop-Programm (Donnerstag, 15.06., bis Samstag, 17.06.)
Workshop 1: Commoning our work, commoning our institutions. Ein postkapitalistisches Training geteilten Arbeitens und Produzierens
Mit Emanuele Braga und Gabriella Riccio (Institute of Radical Imagination)
Kann künstlerische Praxis ein Vorbild für Wege aus der der Krise sein? Im Workshop „Commoning our work, commoning our institutions“ berichten Künstler*innen und Aktivist*innen des Institute of Radical Imagination aus ihrer Praxis: Sie versuchen, Räume für das Wachstum der Commons gegen Privatisierung, Gentrifizierung und Ausbeutung zu schaffen – von der Mikroebene des Individuums bis hin zur Rückeroberung oder Besetzung von städtischem Raum und der Beeinflussung von Planung und Politik. Gemeinsam mit den Teilnehmenden versuchen sie, die Idee eines Theaters der Commons zu entwickeln. Der Begriff der Commons stützt sich dabei auf die Erfahrung in selbstverwalteten Kunst- und Kulturräumen wie L’Asilo (Neapel) oder MACAO (Mailand), in denen die gemeinsame Arbeit für einen geteilten Raum in der Stadt, der allen gehört, im Mittelpunkt steht.
Workshop 2: We have no art: we do everything as well as we can. Ein Versuch in Maintenance Art
Mit Inga Bendukat und Eleonora Herder (andpartnersincrime)
Was wäre, wenn nicht Produktion, sondern Reproduktion im Zentrum unseres Kunstverständnisses stünde? Wenn Sorgebeziehungen künstlerische Zusammenarbeit nicht hemmen, sondern bereichern würden? Wie funktionieren künstlerische Arbeitsprozesse, wenn sie nicht mehr in neoliberalen Produktionslogiken gedacht werden, sondern als Instandhaltung, als Wiederaufnahme und Wiederanknüpfen? Was kann die Kunst hier von Aktivist*innen der radikalen Sorgearbeit lernen? Und was wäre, wenn wir die Kunst schließlich selbst als Sorgearbeit begriffen? Wäre das dann Maintenance Art? Gemeinsam mit den Teilnehmenden forschen andpartnersincrime an einer Form des Freien Theaters, das Kunst- und Sorgearbeit miteinander verbindet und erproben diese „Maintenance Art“ im Mülheimer Stadtraum.
Workshop 3: Produzieren fürs Gemeinwohl. Bilanzierung unserer Arbeit mit der Gemeinwohl-Ökonomie
Mit Oliver Eller und Sandra Paul (Gemeinwohl-Ökonomie)
Impuls von Carlsson Kemena (Theater Göttingen)
Die Gemeinwohl-Ökonomie ist eine Bewegung, die unser Wirtschaften grundlegend am demokratisch definierten Gemeinwohl und am Konzept der Kooperation ausrichten möchte. Im Workshop stellen Oliver Eller und Sandra Paul die Bewegung vor, schauen sich mit den Teilnehmer*innen Beispiele der Gemeinwohlbilanzierung in den und außerhalb der Freien Darstellenden Künste an und fragen: Wie können wir Arbeit neu denken angesichts der planetaren Grenzen und der wachsenden sozialen Krisen? Wie können wir die Produktion im Freien Theater neu ausrichten und Werte wie Solidarität, Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz in unser Handeln integrieren? Carlsson Kemena vom Theater Göttingen, das als erstes Theater Deutschlands in kommunaler Trägerschaft eine Gemeinwohl-Zertifizierung durchlaufen hat, setzt sich zudem aus Theatersicht mit dem Pro und Contra der Zertifizierung auseinander und gibt einen Einblick, wie das DT-Göttingen den Prozess derzeit weiterentwickelt.
Gemeinsam kämpfen für bessere Arbeit in den Freien Darstellenden Künsten (Sonntag, 18.06., 11:00-13:00)
Tischgespräche mit Esther Bajo und Ulrike Kuner (IG Freie Theaterarbeit/ European Association of Independent Performing Arts), Mareike Holtz und Mona Rieken (Performing for Future), Sharon Jamila Hutchinson und Marque-Lin Pham (United Networks), Susan Schubert und Romy Schwarzer (Arbeitsgruppe Elternschaft und Kunstbetrieb/ Tanznetz Dresden), Ulrike Seybold (NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste), Ina Stock (ver.di).
Zum Abschluss der Akademie wird es nochmal ganz konkret: In Tischgesprächen mit Vertreter*innen von Verbänden, Arbeitsgruppen und Initiativen wollen wir darüber diskutieren, was getan werden muss und kann, um die Arbeitsbedingungen in den Freien darstellenden Künsten nachhaltig zu verbessern.
Impressionen
(c) Impulse Festival & Robin Junicke
Eine Koproduktion von Cheers for Fears mit dem Impulse Theater Festival, dem Programm „Verbindungen fördern“ des Bundesverbands Freie Darstellende Künste e.V. und dem NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste. Cheers for Fears wird gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, „Verbindungen fördern“ durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien.