Ein Labor zu Kunst und Theater im digitalen Zeitalter
Rahel Spöhrer, Anneliese Ostertag
Broken surfaces: From skin to screen (Workshop 1)
„Writing can be thought of as skin, in the sense that what we write causes ripples and flows that ‘skin us’ into being: we write, we skin.”
Sara Ahmed und Jackie Stacey
Haut wird berührt, ist Grenze und Übergang, schützt und macht angreifbar – eine Oberfläche, die niemals glatt ist. In ihrer Semipermeabilität ist sie offen für Einwirkungen – Licht, Temperatur, Vibrationen, Substanzen – und wird in und durch diese Berührungen geschrieben. Ähnlich wie Haut, grenzt der Screen Welt ein und ab. Er berührt und wird angefasst, eine Oberfläche voller Spuren. Haut, die den Screen berührt und sich damit in Orte, Menschen und Diskurse einschreibt.
Wie lässt sich aber Haut schreiben? Wie eine Sprache finden, die vermag nah zu kommen ohne zu beanspruchen und zu vereinnahmen? Wie Momente des Übergangs schaffen, in denen Grenzlinien porös werden? Was sind Techniken des Produzierens von Haut, Berührung und Oberflächen on- und offline?
Im Seminar probten und spekulierten wir gemeinsam, wie sich ein „Rewriting the skin” oder „Re-skinning the writing“ in Texten, Bildern und Performances vollzieht. Anhand künstlerischer Arbeiten, körperlicher Übungen, Schreibpraktiken und Texten wurde das Verhältnis von Nähe und Distanz, Verkörperung und Einschreibung, gestestet. Eigens angefertigte Texte, Kollagen und Bilder wurden gemeinsam im Seminar in einem Zine zusammengeführt und aufeinander bezogen.
Rahel Gloria Spöhrer ist Dramaturgin und Performerin. Als Mitbegründerin und Teil der Performancegruppe THE AGENCY war sie mit der Arbeit „Medusa Bionic Rise“ bei Tanz im August in Berlin, bei der Athens Biennale und dem Blue Skies Festival auf Pact Zollverein unterwegs. Die Arbeiten von THE AGENCY befragen, was der erweiterte und programmierte Körper auf der Theaterbühne sein kann. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach möglichen Verbindungen von virtuellen und immersiv theatralen Techniken im Hinblick auf Produktion und Reflektion von Affekten, Emotionen und Intimität.
Anneliese Ostertag arbeitet als Dramaturgin, Kuratorin und Redakteurin. Ihre Recherche fokussiert sich auf archivarische Praktiken und die Schnittstelle von Kunst und Ethnografie. Sie ist Ko-Herausgeberin von en plein air – Ethnographies of the Digital (Spector Books, 2019) und schreibt zu Kunst, Performance und Netzkunst.
Christiane Hütter: Be my guest in der Gesellschaft der Gegenwart. (Workshop 2)
Die „Gesellschaft der Gegenwart“, die 2020 vor allen Dingen drinnen stattfand. Zuhause.
Wo können wir in unserer komplexen post-faktischen Realität zusammenkommen, um nicht immer nur mit denen zu reden, die unsere Meinung teilen und verstärken? Wo können wir in geschütztem Rahmen Systeme (und uns selbst darin) erfahren, Perspektiven wechseln?
Wo lassen sich soziale Protokolle hacken, Utopien entwickeln und überprüfen? Im Theater? Vielleicht. Aber das war zum Zeitpunkt des Workshops geschlossen. Und so ging darum, involvierende Räume und Situationen zu schaffen:
- Gastgeben/Hosten statt immer nur Inhalte (und sich!) zu präsentieren.
- Was bedeutet es, wenn die Teilnehmenden (fka: Publikum) nicht konsumieren, sondern interagieren, mitspielen, partizipieren, mitkreieren?
- Mit welchen Technologien und Methoden schaffen wir gute Erfahrungsräume?
- Welche Praktiken nehmen wir vielleicht auch mit in die postpandemische Zeit?
Im Laufe des Workshops gab es neben methodischem Input eine Reihe von hands-on Übungen und die Möglichkeit, eigene Formate zu entwickeln.
Christiane Hütter/ @frauhue/ futurewithplay.de ist freischaffende Künstlerin und Diplom-Psychologin. Mit den Mitteln von Storytelling und Game Design analysiert sie Systeme und schafft partizipative Möglichkeitsräume an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und öffentlichem Raum. Sie hat das Netzwerk Invisible Playground mitbegründet und diverse spielorientierte Projekte für und mit Kulturinstitutionen in aller Welt künstlerisch verantwortet. Seit 2019 ist sie die Inhaberin von polyplot.de, einer Plattform für digitale Literatur. Gemeinsam mit Frank Rieger hat sie den interaktiven CypherHope Punk-Roman „Gefährliche Menschen“ als polyplot geschrieben. Im April 2020 fand unter dem Weltübergang der erste von ihr initiierte und organisierte online only Hackathon für digitale Formate, die Menschen verbinden, statt. Christiane ist aktuell Fellow an der Akademie für Theater und Digitalität am Schauspiel Dortmund.
Online-Termin: Freitag, 24.04.2020, 18:00 – 20:00 Samstag, 25.04.2020, 11:00 – 18:00 Sonntag, 26.04.2020, 11:00 – 16:00 |
Marina Miller Dessau, Arne Vogelgesang
Verwertung und Wahrheit. Mediengestütztes Rekombinieren politischer Internetvideos
(Workshop 3)
Wie kommt politisches Realtheater aus dem Netz zurück auf die Bühne? Im Workshop wurde die Methode des Live-Reenactments von Videodokumenten praktisch vorgestellt. In einem ersten Schritt nutzten wir sie zur performativen Analyse und Dekonstruktion der theatralen Mittel und Inszenierungstechniken von propagandistischen Vlogs, Botschaften und politischen Reden. Dabei produzierten wir durch Nachspielen ausgewählter Darstellungsebenen neues Material und unternahmen anschließend spielerische Versuche mit dem Neu-Zusammenfügen dieses Materials. Begleitend zu dieser praktischen Arbeit besprachen wir miteinander, was Theater überhaupt mit recherchiertem Medienmaterial anstellen kann, an welche Grenzen es dabei stößt und was die Erzählpotenziale technischer Hilfsmittel und Methoden selbst sein könnten. Marina Miller Dessau studierte Schauspiel am Mozarteum in Salzburg. Sie beobachtet stark oszillierendes Verhalten von Menschen im Netz, sucht nach körperlichen Übersetzungen fürs Theater und beschäftigt sich mit Hochtechnologie für den performativen Körper. Arne Vogelgesang studierte Regie am Max-Reinhardt-Seminar in Wien, bastelt mit Internet- & Software-Material und hält Vorträge / gibt Workshops zu radikaler Propaganda. Als Internil machen Arne und Marina gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegenrecherchebasiertes Performancetheater. Sie arbeiten dabei seit mehr als zwölf Jahren mit einer eigenen und sich fortentwickelnden Variante des Reenactments – dem körperlich und/oder sprachlich exakten Live-Kopieren von dokumentarischem Video- und Tonmaterial.
Impressionen